Es ist ja nicht so, dass nix über den Osten geschrieben würde; im Gegenteil: in der jüngeren Vergangheit gab’s geradezu ne Flut an Büchern und Beiträgen. Flut ist halt auch das Bild, das strapaziert wird bei Migration – das Bildmotiv kann nun jede selber ergänzen. Unter den ersten Sachen, die je über den Osten erschienen sind, war dafür auch viel Mist – manchmal in der heiteren Variante der Komödie. Grit Lemkes Kinder von Hoy allerdings ist nunmal ein Buch, das ich irgendwie auch bewohne, ohne jemals in Hoy gewesen zu sein. Trotzdem kenn ich mich darin aus, und es fühlt sich mal gut an, sich in einer Bücherwelt auszukennen, sich mit-erzählt zu wissen, buchwürdig, mit allen Tugenden und Untugenden, sie halt das Leben ausmachen. Ich hab’s noch nicht durch, aber zusammen mit Kairos von Jenny Erpenbeck sind das nun endlich mal angemessene literarische Versionen des “Ostens”. Kairos sehr allegorisch und episch, und Hoy halt Hoy, eher proletarischer Stil. Und so muss det och sin.
Tag Archives: DDR
Bau auf, bau auf!
Soziologin Hilke Brockmann (Prof.), vermutlich mit hochgekrempelten Ärmeln im Blaumann, schreibt: “Ostdeutsche sollten lieber mal mit anpacken, statt sich der Realität zu verweigern” – und bleibt konkret unkonkret, also was das Was des Anpackens angeht. Aber im Tenor: der Osten wählt so scheiße (nicht ihr Wort), weil er der Osten ist. Und übersieht, wie so viele, dass die Italienerinnen, die Niederländer, der Franzose, die Österreicherin und und und auch so scheiße wählen, aber doch bitte nicht alle die gleiche – ostdeutsche – Geschichte hatten, oder? Sind da nicht eher die neuen westlichen Bundesländer eine Ausnahme (dankenswert, zusammen mit ein paar anderen Ländern, Dänemark, Spanien …)?
Möge Kollegin Brockmann doch mal in den Osten gehen, Ärmel hoch, und es den faulen Osseln so richtig vormachen, das mit dem Anpacken. Irgendwas wird schon im Weg liegen. Oder sie macht ne Firma auf, die nach Ablauf der staatlichen Subventionen nicht gleich wieder schließt. Oder sowas halt. Anpacken, wie nur eine Soziologin es kann!
Wären vor den LandWahlen (was n passendes Wort re Ex-DDR!) Artikel wie dieser als Flugblätter über den sächsischen und thüringischen Gauen abgeworfen worden – das hätte die Wahlen rumgerissen! Ganz bestimmt. Weil auf den Tonfall, wenn eine “die Realität” definitiv kennt und sie ihm vorhält, ja da druff fährt das Ossel ab!
PS Der Titel gehört mal von Sprachlogikern überprüft: “Ostdeutsche sollten lieber mal mit anpacken, statt sich der Realität zu verweigern.” Das “verweigern” hat immerhin ein Objekt, anders als das “anpacken”.
Gittersee
… ist zunächst mal ein Roman (von Charlotte Gneuß), den ich nicht gelesen habe. Kommt noch, vielleicht. Angeblich erregt er Erregung im “Literaturbetrieb”, so schreiben einige Fäuletongs, wobei das vermutlich sie selber meint. “Darf sie das?”, d.h. einen in der DDR angesiedelten Roman schreiben, wo sie doch da und damals nie gelebt hat?! Die einfache Antwort auf eine schlecht gestellte Frage: na klar darf sie das. Kann sie es? – das ist eventuell, je nach Maßstab, etwas anderes. Hier mal ein Vergleich: vor vielen Jahren als der erste Band einer Buchreihe mit dem Titelhelden Harry Potter erschien, erzählte mir mein Englisch- und Übersetzungslehrer James Fanning von seinem Leseerlebnis. Er hatte sich die billigere amerikanische Ausgabe geholt, die hieß H.P. and the Sorcerer’s Stone und nicht wie das britische Original H.P. and the Philosopher’s Stone. Das war verkraftbar. James gefiel der Ton der Erzählerin – Mittelklasse, authentisch (oder so) nannte er das. Bis auf einmal im Text das Wort sneakers für Turnschuhe auftauchte. Damit war der britisch-englisch klingende Text dahin. Ein amerikanischer Eindringling hatte die trainers des Originals verdrängt (d.h. der amerikanische Verlag hatte das veranlasst), und für meinen sprachbewussten Lehrer-Freund war der Text an der Stelle nicht mehr von der gleichen Qualität. Das Buch musste er nicht verbrennen, auch J.K. Rowling nicht verklagen oder einen shitstorm anzetteln (das gab’s auch noch nicht damals, wäre aber auch nicht seine Art) – nein, er wusste, dass er beim nächsten Mal keine amerikanische Parallelausgabe kaufen würde.
Kulturimperialismus
Der Autor (Alan Posener) dieses ungemein beschränkten Kommentars “Nein, die Kultur der DDR war nicht cool” ist Autor des Buches Olli aus Ossiland. Das firmiert als Deutsche Lektüre für das GER-Niveau A2-B1 (Teen Readers (DaF)) beim Klett Verlag. Seine Biographie mag sich spannend lesen, einschließlich KPD-AO und drohendem Berufsverbot und immerhin Rausschmiss bei der sog. “Achse des Guten”. Nur: im Osten ist er nicht aufgewachsen, und seine Haltung dem Osten gegenüber ist wohl eher von Platitüden und Ressentiments geprägt. Und dann ein Ossi-Buch für Integrationskurse? Ohne es gelesen zu haben (mach ich’s?/mach ich’s nicht?) würgt es mich in der Kehle … Das heißt übrigens nicht, dass ich summarisch die Kultur der DDR als “cool” bezeichnen würde. Nee, ich würde gar nicht erst von “der” Kultur der DDR sprechen.
Ich hab mir den Olli aus Ostdeutschland (1997) geholt und sammle noch Symptome für? – mal schauen. Hier ein paar:
– Das Buch ist dezidiert für Deutschlerner empfohlen (B2) und hat daher Erklärungen einzelner Wörter. Zu “Ossiland” heißt es “Vorsicht! – das ist ein Schimpwort!” [sic]. Nichtsdestotrotz heißt der Ich-Erzähler Olli aus Ossiland.
– Anderes braucht keine Erklärung, z.B. wenn 1990 in dem erfundenen Hohenroda die Nationalhymne mit “Deutschland, Deutschland über alles” gesungen wird. Das darf einfach so dastehen. Auch für DaF-Lerner
– Klar, Ost-Cola (von nem Ossi wie Olli sicher nie so bezeichnet, sondern eher “West-Cola” für die anderen) schmeckt textlich-penetrant nach Medizin, eine Schwalbe sei ein Kleinmotorrad, jemand sei bei der Volksarmee, der vor Ort sicher “bei der Fahne” gewesen wäre, und viele stereotype Ingredienzien geben sich die Hand.
– Interessant ist die Lage Dresdens auf der Karte (etwa da, wo eigentlich Karl-Marx-Stadt, ähhh, Chemnitz liegt) – macht aber nix, weil von dem im Text zumindest nahe bei Dresden gelegenen Hohenroda sind’s immerhin 300 km nach Berlin. Vom richtigen Dresden sind’s nur 200, da muss also Posener in Berlin noch etwa 100km um sich selbst zirkuliert sein.
Aus einem Kommentar von G.W.: “ein -roda-Ortsname in der verorteten Gegend kommt definitiv schwerlich vor. Wie schlecht recherchiert kann das Buch sein? Wahnsinn.”
National Holiday: 30 years of German Unity
This morning my wife, from Malawi and still somewhat disappointed by the German government that doesn’t give us the Monday off, asks me: “So this is your Independence Day?!” Uhmm, I’m from East Germany, that got me thinking. Isn’t it rather Dependence Day? … Now, I intend this ironically, in all seriousness! 😉
Actually, I get the sense that this 30th anniversary is more meaningful: I think we, as East Germans, are becoming who we are. I find it is noticeable, especially these days, and it feels healthy. Less victim of circumstances and world history, more confident. Wir sind der Osten is just one of the shapes this has taken.
Continue readingFirst generation: “Zivildienst” in East Germany
Thirty years ago, I was one of those who for the first time in East German history were allowed to do Zivildienst, an alternative service instead of the compulsory military service. I received the letter around 15 March 1990, three days ahead of the national elections that were my first (I had turned 18 in January) – and due to to the victory of the CDU were known to be the last of an independent East Germany. Months later, in the night of 23 August 1990, the East German parliament decided to join the jurisdiction and political structure etc. of West Germany. They submitted (sic!) their decision to the West Germans after monetary union had already become effective by the end of June, and a decision for re-unification had been agreed on between the governments. At midnight 3 October 1990, East Germany a.k.a. GDR seized being an independent political unit, and until then we were her first and last Zivildientleistenden.
Continue reading9 November ’89 – the Fall of the Berlin Wall, and I’m tired
October and kingdoms rise
And kingdoms fall
But you go on
And on.
(U2 – October, 1982)
I have two beginnings for this blog post. I’m not sure I have a suitable ending.
Opening one: I’m just back from a discussion, with Naika Foroutan, about East-German migration analogies and prejudices against East-Germans, here at the local Literarisches Zentrum. “Here” means: Göttingen, West-Germany, for me, an East German by origin, my home of seven years now. Diaspora as well as home. “Here” also means: amongst an audience of, primarily, West-Germans. Naika Foroutan and host Robert Pausch are West Germans, too. They (“they”) speak about East Germans (“us”). Some of “us” are in the room. Their safeguard is the “objectivity” of the (social) sciences. “Objectivity” implies an object. An object implies a subject. Who’s who? I can feel I am one of the objects here, regardless whether I want to or not, and someone else assumes the role of the subject-agent. I observe.
Continue reading9 October 1989
30 years ago today, the “Wende”, the peaceful revolution in East Germany, truly started. After the brutal crack down of police on protesters and bystanders alike in Magdeburg two days earlier, everyone knew that something would happen. October 9 was a Monday, and hence I was at school (EOS Humbodt) in the morning hours. Directors and staff leaders in pretty much every institution and company approached their staff or students or even children at kindergarten, threatening that if they went out into the streets tonight their (or their parents’!) safety could not be guaranteed.
Continue readingDDR 40 – 7 October 1989
… 30 Years Revolution, part II
30 years ago today, the German Democratic Republic was meant to celebrate her 40th anniversary. There was little to celebrate, though. Thousands had fled the country in previous months, and illegal demonstrations happened in every major town, notably on Mondays. This though was a Saturday afternoon, and Sandow were playing in Magdeburg, by the banks of the river Elbe. Heavy rains delayed the soundcheck, and in the meantime lots of police trucks had pulled up and the police surrounded. Men that were much too old for punk music in groups of two or three infiltrated the crowd.
Continue readingPrerow’s Last Legion
August 1989, and we were the “last legion” to be trained in one of East Germany’s paramilitary camps – one of the things that had become part and parcel of growing up in East Germany. Now we were there for a last time, though we didn’t know that yet.
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