Antisemitismus

Beim ganz und gar unkomischen Thema Antisemitismus erscheint mir Deutschland, vor allem das “offizielle”, zunehmend wie der eine Autofahrer aus dem Witz mit der Meldung über Falschfahrer auf der Autobahn: “Was einer? – Hunderte!”, meint der tatsächliche Falschfahrer. Der Vorwurf des Antisemitismus trifft inzwischen undifferenziert regierungskritische israelische Oppositionelle, inhaltlich eigentlich auch den Internationalen Strafgerichtshof, usw. Absurd, und gruselig vor dem historischen Hintergrund ausgerechnet dieses Landes.
Der bestialische Terrorangriff der Hamas war zwar “antisemitisch”, genau genommen aber war er: judenfeindlich, und zwar gegenüber Juden in einem bestimmten Gebiet, in einer faktisch-bestimmten historisch-politischen Situation.
Der europäische, zumal der deutsche Antisemitismus hingegen gehörte zum “guten” Ton der (zumal christlichen) Mehrheitsgesellschaft der vergangenen Jahrhunderte. Auch sein Tiefpunkt, der Holocaust, basierte auf einem komplett frei erfundenen antijüdischen Wahn. Niemand in Hitlers “Reich” war de facto von Juden bedroht.
Beides, den Terrorakt und den Holocaust mit dem selben Begriff zu bezeichnen, ist daher schon ein Drahtseilakt, den man einer unmittelbar betroffenen und emotional getroffenen isaelischen Regierung durchgehen lassen kann, auch wenn er nicht hilfreich ist. Man muss dafür die tatsächliche Situation in Israel und Palästina komplett ausblenden oder verzerrt wahrnehmen. Man muss – von Außerhalb – also einer Fiktion von Israel ewig-gutem Judenstaat erliegen, die positivem Rassismus gleichkommt. Und ja, man tut das: man spricht von “besetzten Gebieten” und klagt aber jeden des Antisemitismus an, der darauf hinweist, dass der Besatzer Israel die Gebiete besetzt. Und man behauptet, die deutsche Erinnerungskultur um den Holocaust diene dem “Nie wieder”, beschränkt das “Nie wieder” offenbar auf das Verhältnis Deutschlands zu Juden und Israel und lernt also nicht, weil der Lerntransfer nicht gelingt. Damit wird diese Erinnerungskultur zu einem inhaltsleeren Kult (und man spielt den Holocaustleugnern und anderem rechten Gelumpe in die Karten). Zu den Fakten hingegen gehört:

– Seit 1948 gibt es einen Staat Israel, dessen Entstehung fast alles mit Europa/Deutschland zu tun hat und in kolonialer Manier ins Werk gesetzt und abgesegnet wurde. Man hätte vieles anders und besser machen können, aber Eretz Israel ist inzwischen Realität, an der nicht zu rütteln ist. Punkt.
– Seit 1967 ist Israels Besatzung palästinensischer Gebiete auf Dauer angelegt (> Siedlungen).
– Die Siedlungen auf palästinensischem Gebiet sind nur für Juden vorgesehen.
– Es gibt neue Straßen in den “Siedlergebieten” oder Städten wie Hebron, die nur von Juden genutzt werden dürfen.
– Für jüdische Siedler gilt allgemeines israelisches Recht, für die Palästinenser in den Gebieten gilt Militärrecht mit all seinen Einschränkungen.
– 2018 wurde per Gesetz beschlossen, dass Israel ein Staat für Juden ist mit (anders als vorher) Hebräisch als alleiniger Amtssprache.

Das alles nicht als Apartheid-Politik zu sehen, erfordert massive intellektuelle Blindheit. Vor diesem Hintergrund gewinnt der Verdacht des Genozids im Rahmen des Gaza-Kriegs an Bedeutung. Das muss man benennen dürfen, ohne als Antisemit denunziert zu werden. Je verbohrter, lernunwilliger Deutschland sich gibt, umso öfter wird es angezählt werden – auf Bühnen und anderswo.

Hier ein paar Anlagen

zu Israels Nationalitätsgesetz

zu Verhandlungen am IGH

Burundi Black?!?!

Die Welt ist voller Geheimnisse: auf der Suche nach anspielbaren Titeln von “Burundi Black” wird mir unter anderem Peter Alexanders (ja, der Peter Alexander) “Wenn ich mit meinem Dackel von Grinzing heimwärts wackel” von iTunes angeboten. Ich wusste nicht, dass es so einen Titel gibt, aber ich weiß noch viel weniger, wie ich einen Dackel in Grinzing und den Alexander Peter mit Trommeln aus Burundi zusammenkriege?!?!?

Apropos: Burundi Black war ein krasser Fall von Musikstilklau aus den 70ern – siehe NY Times Artikel von 1981 zu Cultural Appropriation im Brit Pop jener Zeit:

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There’s more between 0 and 1

Digitisation, I’d assume, would lead to a degree of consistency as solid as the difference between 0 and 1. Well, here’s counterproof from an exam-registration interface – start/end time of the exams of three students who’d all registered through the exact same interface. One seems to have to sit for it at another time or elsewhere …

Gittersee


… ist zunächst mal ein Roman (von Charlotte Gneuß), den ich nicht gelesen habe. Kommt noch, vielleicht. Angeblich erregt er Erregung im “Literaturbetrieb”, so schreiben einige Fäuletongs, wobei das vermutlich sie selber meint. “Darf sie das?”, d.h. einen in der DDR angesiedelten Roman schreiben, wo sie doch da und damals nie gelebt hat?! Die einfache Antwort auf eine schlecht gestellte Frage: na klar darf sie das. Kann sie es? – das ist eventuell, je nach Maßstab, etwas anderes. Hier mal ein Vergleich: vor vielen Jahren als der erste Band einer Buchreihe mit dem Titelhelden Harry Potter erschien, erzählte mir mein Englisch- und Übersetzungslehrer James Fanning von seinem Leseerlebnis. Er hatte sich die billigere amerikanische Ausgabe geholt, die hieß H.P. and the Sorcerer’s Stone und nicht wie das britische Original H.P. and the Philosopher’s Stone. Das war verkraftbar. James gefiel der Ton der Erzählerin – Mittelklasse, authentisch (oder so) nannte er das. Bis auf einmal im Text das Wort sneakers für Turnschuhe auftauchte. Damit war der britisch-englisch klingende Text dahin. Ein amerikanischer Eindringling hatte die trainers des Originals verdrängt (d.h. der amerikanische Verlag hatte das veranlasst), und für meinen sprachbewussten Lehrer-Freund war der Text an der Stelle nicht mehr von der gleichen Qualität. Das Buch musste er nicht verbrennen, auch J.K. Rowling nicht verklagen oder einen shitstorm anzetteln (das gab’s auch noch nicht damals, wäre aber auch nicht seine Art) – nein, er wusste, dass er beim nächsten Mal keine amerikanische Parallelausgabe kaufen würde.

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Kulturimperialismus

Der Autor (Alan Posener) dieses ungemein beschränkten Kommentars “Nein, die Kultur der DDR war nicht cool” ist Autor des Buches Olli aus Ossiland. Das firmiert als Deutsche Lektüre für das GER-Niveau A2-B1 (Teen Readers (DaF)) beim Klett Verlag. Seine Biographie mag sich spannend lesen, einschließlich KPD-AO und drohendem Berufsverbot und immerhin Rausschmiss bei der sog. “Achse des Guten”. Nur: im Osten ist er nicht aufgewachsen, und seine Haltung dem Osten gegenüber ist wohl eher von Platitüden und Ressentiments geprägt. Und dann ein Ossi-Buch für Integrationskurse? Ohne es gelesen zu haben (mach ich’s?/mach ich’s nicht?) würgt es mich in der Kehle … Das heißt übrigens nicht, dass ich summarisch die Kultur der DDR als “cool” bezeichnen würde. Nee, ich würde gar nicht erst von “der” Kultur der DDR sprechen.

https://www.welt.de/debatte/kommentare/article245337758/Nein-die-Kultur-der-DDR-war-nicht-cool.html?fbclid=IwAR0YMj-CGYZBHO5TeE7P7fGL_G1sa4INpJGkXm-8l3bafTv48fhZSiSvaXc

Ich hab mir den Olli aus Ostdeutschland (1997) geholt und sammle noch Symptome für? – mal schauen. Hier ein paar:

– Das Buch ist dezidiert für Deutschlerner empfohlen (B2) und hat daher Erklärungen einzelner Wörter. Zu “Ossiland” heißt es “Vorsicht! – das ist ein Schimpwort!” [sic]. Nichtsdestotrotz heißt der Ich-Erzähler Olli aus Ossiland.

– Anderes braucht keine Erklärung, z.B. wenn 1990 in dem erfundenen Hohenroda die Nationalhymne mit “Deutschland, Deutschland über alles” gesungen wird. Das darf einfach so dastehen. Auch für DaF-Lerner

– Klar, Ost-Cola (von nem Ossi wie Olli sicher nie so bezeichnet, sondern eher “West-Cola” für die anderen) schmeckt textlich-penetrant nach Medizin, eine Schwalbe sei ein Kleinmotorrad, jemand sei bei der Volksarmee, der vor Ort sicher “bei der Fahne” gewesen wäre, und viele stereotype Ingredienzien geben sich die Hand.

– Interessant ist die Lage Dresdens auf der Karte (etwa da, wo eigentlich Karl-Marx-Stadt, ähhh, Chemnitz liegt) – macht aber nix, weil von dem im Text zumindest nahe bei Dresden gelegenen Hohenroda sind’s immerhin 300 km nach Berlin. Vom richtigen Dresden sind’s nur 200, da muss also Posener in Berlin noch etwa 100km um sich selbst zirkuliert sein.

Aus einem Kommentar von G.W.: “ein -roda-Ortsname in der verorteten Gegend kommt definitiv schwerlich vor. Wie schlecht recherchiert kann das Buch sein? Wahnsinn.”

Enter Chiko

I haven’t devoted much energy to this blog lately, yet it is about time a major change in our lives finds some representation here: the birth of our daughter, Lilo Chikondi. A year and a half after our wedding, she joined us here and has been growing her very own personality since.